Freitag, 24. August 2007

Die Zinagesellschaft - eine Betrachtung zu Sure 17 Vers 32

"Und nähert euch nicht dem Ehebruch (Zina), das ist etwas Abscheuliches und öffnet den Weg (zum Schlechten)"(17:32).
Dieser Vers des Quran, eingebettet von zwei Versen, die die Verwerflichkeit des Tötens zum Gegenstand haben, geht mit zwei Begriffen über die bloße Nennung der Verwerflichkeit von Zina, was soviel heißt wie Unzucht treiben oder Ehebruch begehen, hinaus. Zunächst mit der Wendung "la taqrabu". Sie bedeutet "nähert euch nicht", d.h. im Vorfeld dessen, daß etwas Verbotenes geschehen könnte, bereits Maßnahmen treffen, die das Eintreffen des Verbotenen unmöglich machen - eine typisch islamische Maßnahme also, die man ähnlich in vielen Bereichen islamischer Lebensgestaltung antreffen kann. Eine schöne Metapher für diese Scheu vor der Annäherung findet sich in dem Hadith über den Heiligen Bezirk eines Königs. Das Verbotene wird in diesem Hadith mit dem Heiligen Bezirk eines Königs (d.i. ALLAH) verglichen[1]. Der Schafhirte, der seine Schafe in der Nähe des Heiligen Bezirkes weiden läßt, ist gehalten, seine Tiere, die er ja aufgrund ihrer Anzahl nicht völlig kontrollieren kann, nicht in der Nähe des Heiligen Bezirkes grasen zu lassen, um Schaden zu vermeiden. Je weiter er seine Tiere vom Haram enfernt hält, desto sicherer ist er. Genau um eine solche Distanzherstellung geht es auch in dem Vers über Zina. Warum ist es gerade bei Zina notwendig eine Distanz herzustellen? Warum begnügt sich der Quran nicht einfach nur damit zu sagen "begeht keine Zina", wie es beispielsweise in den Versen davor und danach in Bezug auf das Töten geschieht? Offenbar ist das, was uns zu Zina führen könnte von einer anderen Qualität, als das, was uns zum Töten bringen könnte. Tatsächlich ist der Sexualtrieb unbestritten der stärkste Trieb des Menschen, der in seiner Intensität alles andere Begehren und Drängen des Menschen aussticht - das Töten ist etwas, was keinem Trieb zu entspringen scheint, sondern erst als Entscheidung auf eine Begierde folgt[2]. Allah hat den starken Sexualtrieb aus Weisheit in den Menschen gelegt, um das Getrennte zur Einheit zu fügen, um das Paar fest zu verschlingen, so daß nicht nur das Paar, Mann und Frau, sondern auch die an ihm hängenden Kinder und Verwandten in eine Einheit verschlungen werden, die ja im Grunde ein Ausdruck für die Einheit des Seins ist: Tauhid. Ein wunderbares Beispiel für diesen Gedanken ist der erste Vers der Sure al-Nisa. Dort wird das Paar als aus einer Einheit, einer Nafs, geschaffen vorgestellt und im Zuge dieser Einheit wird die Verwandtschaftsbande als das, was mit dem Paar besteht, zu pflegen aufgegeben. Weil es also um die Einheit der Menschen, ja der Menschheit, geht und nicht nur um ein singuläres egoistisches Interesse, scheint das sexuelle Begehren so eindringlich zu sein - aber auch so gefährdet.
Ich komme zum zweiten Punkt der Vertiefung von Zina: der Weg, der von Zina ausgeht, kann nur ein schlechter sein; mit der Tat an sich ist das Übel noch nicht vorüber. Ein Beispiel für den üblen Weg (saa sabilan), der von Zina ausgeht, hat man an der europäschen Gesellschaft, an der Gesellschaft, in der wir ja leben und in die wir samt unserem Glauben hineingezogen zu werden drohen. Zwei Ereignisse haben das zwanzigste Jahrhundert in Europa maßgebend geformt: der Erste Weltkrieg und der Zweite Weltkrieg. Nimmt man die Zeit zwischen den Kriegen als Interim, ergibt sich ein Zeitraum von etwa dreißig Jahren. Eine dreißigjährige Kriegszeit, die Europa in der Tiefe ihrer sozialen Beziehungen prägte[3]. Was muß es für die deutsche Gesellschaft nach 1945 bedeutet haben, daß 7,5 Millionen(!) Menschen, oft unter entsetzlichen und tragischen Umständen, getötet worden waren, wieviele Waisen, wieviele Witwen? Welche Folgen muß die demoskopisch ungleiche Geschlechterverteilung nach dem Krieg für eine an der Monogamie orientierten Gesellschaft gehabt haben? Was muß es bedeutet haben, daß Millionen von Männern durch fremde Länder zogen und dort mit Frauen anbändelten oder gar vergewaltigten? Als die Rotarmisten nach dem Fall Berlins in die Stadt einzogen und ihre "Siegesfeiern" abhielten, meldeten sich über einhunderttausend Frauen(!), die vergewaltigt worden waren, die Dunkelziffer, die vielleicht doppelt so hoch sein mochte, gar nicht mitgerechnet. Aber auch die deutschen Männer werden sich in den vormals eroberten Gebieten nicht gerade zimperlich benommen haben. Waren die Ehen nach dem Krieg nicht durch den Tod des Gatten zerstört, so wurden sie es oft, weil der Mann, wenn er aus dem Krieg zurückkehrte, nicht mehr der war, der in den Krieg hineinmarschiert war; aber auch die Frauen, zu denen die Männer zurückkehrten, waren nicht mehr die, die sie vormals verlassen hatten. Für die sozialen Beziehungen und die moralischen Wertvorstellungen muß der Krieg eine noch größere Katastrophe gewesen sein als er es für Sachen und Personen war. Bis in die Gegenwart hinein reichen die Folgen; die in der Nachkriegszeit Geborenen sind diejenigen, die zur Zeit das Land regieren und erst vor etwa zehn Jahren ist ja die Teilung zwischen Ost und West aufgehoben worden.
Auf diese Nachkriegswelt der geschundenen Menschen traf nun etwas, worauf sie ebensowenig wie auf den Krieg vorbereitet waren: der amerikanische Kapitalismus und der sowjetische Bolschewismus. Besonders die Konsummentalität des Kapitalismus stieß verhängnisvoll auf die zerstörten Sitten und die ramponierten Moralvorstellungen, weil der Kapitalismus die Gier nach Gütern zu einem entscheidenden Antrieb des Handels macht. Eine Folge war das, was man so lapidar "die Sexwelle" genannt hat, so als sei sie ohne Aussicht auf Entkommen über die Menschen hinweggeschwappt. Das, was man in Europa als die Emanzipation der 68er Generation von der "bürgerlichen" Moralbevormundung nannte, war in Wirklichkeit die naheliegende Folge einer im Widerspruch lebenden Gesellschaft, die "Moral" sagte und sich bereits während des Krieges an ganz anderes gewöhnt hatte - ein Film wie "die Sünderin" mit Hildegard Knef scheint genau dieses Lebensgefühl auszudrücken: die reine deutsche Frau gab es nicht mehr. Die Liberalisierungstendenzen in den 60er Jahren waren Folgen aus dem Sittenverfall während des Krieges[4]. Erst jetzt hatte der Nihilismus den Radius seiner größten Wirkung erreicht. Dadurch, daß man Zina im grunde nicht mehr für verwerflich oder unrechtmäßig ansah, war es möglich, Gegenstände, die eigentlich nichts mit Sexuellem zu tun hatten, in die Aura des Erotischen zu ziehen. Überall, wo irgendetwas aus dem Einerlei des bloß Gegenständlichen in die Aufmerksamkeit des menschlichen Blickes gezogen werden sollte, wurde es mit diesem menschlichen Trieb verbunden[5]. Sexualität ist jetzt nicht mehr, wie es noch im neunzehnten Jahrhundert der Fall war, etwas Privates, das niemanden außer den Paaren etwas angeht[6]. Sexualität wird in der Nachkriegszeit zu etwas Öffentlichem. Das Intimste kann heutzutage, durchaus in einer Show, vor allen Leuten vor die Öffentlichkeit gebracht werden, ohne daß sich jemand gestört fühlt - das Schlafzimmer existiert als Raum des Ehepaares auch gar nicht mehr. Freiheit, Emanzipation von überholten patriarchalischen Machtansprüchen, die mit einem sogenannten überholten Ideal von Treue in Zusammenhang gebracht wurden, und die Befreiung von Geschlechterrollen waren die Folgen der verhängnisvollen Nachkriegskonstellation. Wie dem auch sei, Kriege führen leicht zu einer Verrohung der Sitten, was dann auch hier in Europa geschehen ist. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg lösten die "Wilden Zwanziger Jahre" eine Entwicklung aus, die sich später in Amerika forsetzen sollte.
Die Überfrachtung des öffentlichen Raumes mit sexuellen Schlüsselreizen hat genau zu der Reaktion geführt, wie wir sie schon sehr früh für die modernen europäischen Städten mit ihren Reizüberflutungen kennen: zur Abstumpfung. Die Menschen in den Großstädten schützen sich vor der Reizüberflutung durch das, was man Blasiertheit genannt hat, sie reduzieren ihre Wahrnehmung, legen "Scheuklappen" an und laufen mit dem für Großstädter typischen "teilnahmslosen Gesichtsausdruck" umher. Das ist nicht nur schade für die Gesprächskultur, wie man sie früher kannte. Für die Sexualität der Menschen in der Großstadt bedeutet das eine reduzierte Sexualität, eine Unterdrückung des Triebes, um nicht ständig gereizt zu werden. Die Folge der sexuellen Reizüberflutung ist zunächst einmal das Erlernen von Selbstrestriktionsmaßnahmen (Selbstkontrolle) in Bezug auf die eigene Sexualität; es ist naheliegend sich vorzustellen, daß diese Restriktionen sich auch auf den privaten Bereich ausdehnen und die Beziehung zum Partner stören: Erotik geschieht mehr und mehr über den Kopf und schwächt damit die positive Kraft, die sie in der Beziehung der Paare spielen soll. Das Band der Ehe wird instabiler. Etwa in den letzten zwanzig Jahren hat sich diese Reizüberflutung verlagert; es sind nicht mehr nur die öffentlichen Räume, in denen sich die Sexualität von der Ehe abgekoppelt zeigt, in den letzten Jahren ist im Zuge der Privatisierung des Fersehens, insbesondere durch die Satellitentechnik, all das, was vorher im öffentlichen Raum der Stadt angetroffen werden konnte, auch in den privaten Bereich vorgedrungen. Ein Beispiel: ein Kern der Verknüpfung von Ware und Sexualität bildet die Kleidermode. Sie wird nicht von uns bestimmt, sondern diktiert, und sie wird so diktiert, daß sie dem Kommerz dient, daß heißt: fast alle Moden sind körperbetont, versuchen also das Begehren in den Vordergrund zu schieben. Das führt zu eigenartigen Konstellationen. Die Moden für die Kinder werden schon so gestylt, daß sie einem erotischen Ideal der Erwachsenen nachstreben. Die Kinder kleiden und schminken sich nach erotischen Vorbildern von Stars, werden also erotisiert, was sie selbst nicht merken - was aber von Pädophilen durchaus bemerkt wird. Die Erotisierung der Kinder durch die Mode ist eine subtile Unterminierung der Privatsphäre mit erotischer Symbolik, die das Schamgefühl löscht. Der private Bereich wird von außen bestimmt und ist damit im Grunde keiner mehr, entspricht zumindest nicht mehr dem islamischen Ideal privater Ungestörtheit.
Ein anderes Beispiel: Ein erotisches Attribut des Mannes sind breite Schultern. Die Bekleidungsmode betont die breiten Schultern des Mannes nicht nur durch eine Verengung der Taille, sondern auch durch die Hervorhebung der Schultern. Im Rahmen der sogenannten Emanzipation der Frau, die im Kern bedeutet, daß Frauen die Machtpositionen einnehmen, die Männer lange Zeit innehatten, werden nun eben diese Kleidungsmerkmale des Mannes auch für Frauen interessant. Die Pointierungen der Kleidung, die für Männer vorgesehen waren, spielen plötzlich für Frauen eine Rolle. Jede Damenjacke wird an den Schultern breiter geschnitten und mit Polstern ausgelegt, wie wenn man es mit einem Boxer zu tun hätte. Die Frau wird also vermännlicht und gerade die Distanz zwischen Männern und Frauen, die eine erotische Energie erzeugen könnte, wird aufgehoben: die Frau ist gleich dem Mann, es gibt keine Attraktion, sondern eine Konkurrenz - man betrachte vor diesem Hintergrund einmal die Kleidung und die Gestik der Journalistin Sabine Christiansen! Wir Muslime wissen, daß die Differenz zwischen Mann und Frau sich auch in der Kleidung ausdrücken soll. Hier geschieht aber genau das Gegenteil. Die Gefahr von Zina entsteht, weil der Mann jetzt durch die Vermännlichung der Frau von seiner Frau auch da abgezogen wird, wo die Privatspähre eine selbstbestimmte erotische Sphäre schaffen sollte: es gibt kein eindeutiges Geschlechtsgegenüber mehr. Auch das führt zu einer Verkümmerung der Partnerschaft, die von außen gesteuert zu sein scheint. Dazu kommt, daß das Fernsehen bereits zu immer früheren Sendezeiten entblößte Körper oder Menschen in verfänglichen Situationen zeigt, an die sich die Fersehzuschauer immer mehr gewöhnen. Den gesamten Tag über trifft das kommerziell orientierte Programm in alle Bereiche des Wohnens, vom Kinderzimmer bis ins Schlafzimmer. Fernsehwerbung aber auch etwa die Plakatwerbung wird ganz offensiv mit sexuellen Reizen versehen; die Überfülle dieser Reize muß als Folge der Konkurrenz der Produkte gesehen werden, die gleichzeitig eine Konkorrenz im Entblößen ist. Diese Symbole werden auch in normalen Sendungen aufgegriffen, in Talkshows etwa, und führen also gegenwärtig insgesamt zu einer dramatischen Senkung der Schamschwelle; exponiert wird dieser Prozeß durch das sich zur Zeit intensiv ausdehnende Internet, in dem manche Webseiten praktisch keine Tabus mehr kennen. Selbst sodomitische Pratiken perversester Art werden gezeigt und sind ein Ausdruck dafür, daß die Abstumpfung, die sich aus dem andauernden Ausgesetztsein von sexuellen Reizen ergibt, nur durch einen "Kick" durch Perverses überwunden wird. Die Tendenz geht also eindeutig in Richtung Verlust sämtlicher Schamschranken.
Ausländische Muslime, die in Europa leben und aufgrund des Technologiemangels in ihren Heimatländer besonders an moderner Technik interessiert sind, werden besonders von diesem dramtischen Absinken des Schamgefühls betroffen sein. Wer trotzdem weiter in Europa leben will, sollte darauf bedacht sein, sein Schamgefühl zu schützen und sich nicht an Entwertungen dieses wichtigen Gefühls zu beteiligen. Daß die Kinder, die ja von der Bildungsministerin Bulmahn sogar einen internettauglichen PC versprochen bekommen haben, ganz anders in diese Gesellschaft hineinwachsen werden als wir Erwachsene es getan haben, sollte uns dabei klar sein.
Um sich in der Situation des drohenden Verlustes des Schamgefühls am Islam zu orientieren, kann man auch auf Lösungsvorgaben aus der Lebenswelt der frühen Muslime zurückgreifen. Dort hatte man bereits das Alleinsein mit einem Menschen anderen Geschlechts außerhalb der Verwandschaftsbande als Gefahr angesehen, als Annäherung an Zina (nachlesbar z.B. in dem Kapitel der Sira über "hadith el ifk"). Man empfand das Alleinsein oder gar die Berührung eines nicht verwandtschaftlich gebundenen Geschlechtsgegenübers als peinlich, man schämte sich. Die Höflichkeitsformen, die Muslime gegenüber dem Muslim anderen Geschlechts kennen, sind im Kern Distanzformen aus Scham und lassen somit hintergründige Annäherungsversuche nicht zu; das, was sich im Europa der Minnezeit als die Hochachtung vor dem weiblichen Geschlecht ausdrückte, läßt sich höchstwahrscheinlich auf das Schamgefühl der Muslime zurückführen, die mit ihm den Respekt vor der Frau ausdrückten. Die Muslime gingen sogar soweit, die Häuser und die Straßen der Viertel so anzulegen, daß es nicht zu unzüchtigen Begegnungen kommen konnte. Sie wußten genau, daß die Unzucht mit dem Voyeurismus beginnt. Ein Hadith aus der Sammlung des Buchari beaschreibt einen solchen Voyeur, der in das Haus des Propheten(sws), in seine Privatsphäre also, durch ein Loch hineinzuspähen suchte. Der Prophet(sws) bemerkt den Voyeur und entgegnete ihm, daß er, hätte er ihn von innerhalb des Hauses bemerkt, seinen kleinen Stock, mit dem er sich seinen Rücken zu kratzen pflegte, durch das Guckloch gestoßen hätte[7]. Eine rigorose Androhung, die dem Schutzwert der vom Islam geschätzten privaten Sphäre entspricht. Entsprechend der Bedeckung der Privatgemächer durch die Fassade des Hauses wird im Islam auch auf das Bedecken des Leibes durch die Kleidung geachtet. Die Entblößung, der Verlust des Schamgefühls und alles, was dazu führt, wird offenbar als Weg zu Zina angesehen. Zina kann sich im Allgemeinen erst ergeben, wenn eine gewisse Liederlichkeit durch Sprache oder Gebärde entstanden ist, aufgrund der man sich getraut, seine Wünsche seinem Gegenüber mitzuteilen. Wenn die frühen Muslime die Fassaden ihrer Häuser in diesem Sinne fensterlos getalteten - z.T. bis heute-, um bereits den Blick von außen ins Haus nicht zuzulassen, dann geschieht in Europa gegenwärtig genau das Gegenteil. Man "erweitert" die Fensteröffnungen in den Privatbereichen, um möglichst alles zu präsentieren, was innerhalb der Privatsphäre geschieht und sie im Grunde damit zu beseitigen. Die mir im Moment bekannte extremste Form dieses Voyeurismus ist die Sendung "Big Brother", in der praktisch das "Fernsehfenster" einen Einblick für Millionen Menschen auf Personen gewährt, die offenbar ihren Spaß daran haben, sich schamlos einem voyeuristischen Publikum zu zeigen. Im Internet werden Möglichkeiten angeboten, durch geheime Kamerafenster zu schauen oder Menschen in ihrer Privatwohnung zu beobachten. Offensichtlich ist die Idee zur Sendung "Big Brother" aus der Beobachtung von Trends im Internet entstanden. Kameras für das Internet werden neuerdings in Supermärkten günstig angeboten, sodaß bald mit einer neuen Qualitätsstufe des sich Entblößens und des Betrachtens zu rechnen ist, eine Stufe, die aus dem Zustand des Spektakulären in den des Alltäglichen überführt. Zina rückt so immer weiter in den Bereich des Normalen vor und wird unmerklich zu etwas Legitimen.
Wie können wir Muslime den "heiligen Bezirk" wahren? Dadurch, daß wir unser Schamgefühl pflegen und es uns nicht ausreden lassen. Das hat man nämlich lange schon versucht. In der Psychoanalyse hatte man das Schamgefühl als ein Instrumentarium der Selbstunterdrückung ausgemacht, dabei ist es ein sehr feines Instrument für die Ermessung einer gesunden Distanz zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, dazu ein Mittel zur Befreiung von der Diktatur der Triebe. "Wenn du dich nicht schämst, dann tu was du willst", heißt es im Hadith. Die Gefahr für das Schamgefühl ist nun, daß man sich durch die Wiederholung des Schamlosen an diesen Zustand gewöhnt und das Schamgefühl verliert. So summieren sich viele kleine Ereignisse zu der Vorstellung, das Schamgefühl sei nicht mehr zeitgemäß. Durch die Absenkung der Schamgrenzen im öffentlichen Raum bestehen bald kaum noch Unterschiede zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Die Differenz kann nicht mehr wahrgenommen werden. Es gibt nichts Öffentliches mehr, weil es nichts Privates mehr gibt. Das Intimste wird vor allen Menschen, im Fernsehen und im Internet, mitgeteilt. Und das Öffentliche wird über das Fersehen dort mitgeteilt, wo es eigentlich nichts zu suchen hat, in der Privatsphäre. Für die Ehe bedeute all das, das Fehlen eines schützenden Bezirkes, da öffentliche Interessen, zumeist kommerzieller Art, in die Privatsphäre eingreifen. Eine echte Belastung für die Partnerschaft. Die Lösung scheint mir zu sein, all das, was in Europa zu einer Beherrschung des Privatbereiches tendiert, so zu organisieren, daß es nur dort wirkt, wo es hingehört, in den öffentlichen Raum. Ich meine beispielsweise Folgendes: Das Internet wirkt besonders dadurch, daß die schamlosen Angebote anonym genutzt werden können. Das Internet wird daher von vielen dazu benutzt, in einem abgeschlossenen Raum Perverses zu begaffen; in einem öffentlichen Raum würden sie sich das überlegen, denn sie könnten gesehen werden und das wäre ihnen peinlich. Der Punkt, an dem das Internet auf die Schwäche des Menschen trifft, ist die Anonymität, niemand sieht ihn, niemand beobachtet ihn. Das Schamgefühl kann in dem Moment entstehen, wo ich das Internet öffentlich benutze, denn das Schamgefühl ist zutiefst und eigentlich ein soziales Gefühl, d.h. es entsteht erst dann, wenn wir nicht alleine sind, sondern in der Gemeinschaft (im Hadith wird ausdrücklich vor dem Alleinsein gewarnt, denn wer alleine ist, dessen Begleiter ist der Scheitan, heißt es). Die modernen Medien zielen aber gerade in ihrer Berührung des Sexualtriebes auf den alleine lebenden Menschen - zunächst jedenfalls. Die Beherrschung meiner Triebe durch Mächte, die an mir verdienen möchten, kann also dadurch verhindert werden, daß ich das Internet in einem gewissen Sinne öffentlich benutze. Wenn ich also zu zweit surfe und nicht alleine, ist das Internet öffentlich. Wenn ich es in einem Cafe benutze, ist es öffentlich, wenn ich es aber zu Hause und alleine benutze, ohne daß mich jemand beobachten kann, bin ich allein mit einer Technik, die es auf die Ausreizung meiner Triebe angelegt hat, bin ich in der Position des Schwächeren. Wenn wir schon nicht um das Internet herumkommen, weil offenbar zur Zeit alles dafür getan wird, die öffentliche Kommunikation auf diese Ebene zu überführen, sollten wir Muslime uns zumindest daran gewöhnen, es so zu organisieren, daß es aus dem intimen Privatbereich herausgenommen wird und in eine öffentliche Spähre verlegt wird, in der wir uns schämen können - was natürlich auch für andere Medien gelten könnte. Der mehr oder weniger ständige Beschuß mit schamlosen Inhalten führt zur Gewöhnung an Schamloses und läßt die Hemmungen in Bezug auf Entblößung sinken, läßt eine Annäherung an Zina zu. Was wir momentan in Europa beobachten können, ist nicht allein die Umwandlung des Schamgefühls, es ist die Zerstörung der Ehe durch Zina, ist die Destabilisierung der gesamten Gesellschaft.

Zusammenfassung:
Die Sexualität ist in Europa seit den großen Kriegen im allgemeinen nichts mehr, was nur noch zwischen den Ehepartnern stattfindet. Die Sexualität wurde von der Ehe abgekoppelt und in Beziehung zu Gütern gebracht, zumeist aus kommerziellem Interesse - was hat etwa ein Milchprodukt mit einer attraktiven Frau zu tun?. Das gefährdet die Partnerbeziehungen der Muslime, die in der Ehe einen bewahrenswerten Wert sehen. Die Sexualisierung des Alltags verstärkt nicht den Trieb oder läßt ihn ausleben, wie man denken könnte, sondern mindert ihn einerseits und treibt die Menschen andererseits hin zum Perversen. Die Ablenkung der Partner voneinander, die auch aus der Lebensfremdheit des Perversen entsteht, ist aber ein Weg hin zu Zina. Die Gewöhnung an diese Vorgänge läßt das Schamgefühl sinken, was z.Zt. dramatisch geschieht. Offenbar kommt es darauf an, den Sinn für das Schamgefühl zu bewahren. Wir sollten als Muslime die subtilen Mechanismen dieser Zerstörung kennen, beispielsweis im Internet. Die Revolution des Kommunikastionsbereiches führt wahrscheinlich zur tiefgreifenden Änderungen des Privatbereiches; keine Schutzzone bleibt mehr vor Handy oder Bildschirmen verschont, selbst das Gebet nicht. Die Ehe ist auf das äußerste gefährdet.











[1]vergl z.B. Al-Nawawi, Vierzig Hadithe, Hadith Nr.6, in der Übertragung von Ahmad von Denffer, Leicester 1979; auch bei Buchari 2/38.
[2]Erstaunlicherweise und in der Konsequenz des Gedankens liegend wird der nächste Vers, der sich auf den Besitz der Waisen bezieht, wieder mit der Wendung "nähert euch nicht", la taqrabu, eingeleitet, weil es offenbar die Gier nach Besitz ist, ein Drang also, dem sich die hilflosen Waisen ausgesetzt sehen.
[3]Vergl. dazu etwa die Beschreibungen in Hans Falladas Roman "Kleiner Mann - was nun?"; Hamburg 1932.
[4]Der Roman von Günter Grass "Die Blechtrommel", der Anfang der sechziger Jahre bekannt wurde, enthält einige Szenen, die damals noch für einen Teil der Öffenlichkeit kaum akzeptabel waren, heute aber schon lange niemanden mehr aufregen.
[5]Die Fernsehwerbung ist ein auffälliges Beispiel dafür, wie Produkte - von der Zahnpasta über Kaugummis bis zur Seife - durch Zusammenstellung mit Sexuellem in die Aufmerksamkeitssphäre des Menschen gezogen werden können, obwohl kein Interesse am Produkt besteht.
[6]Allerdings auch hier nur eingeschränkt; man schützte die Privatsphäre, um über das Idealbild der "Fürstenfamilie" eine subtile Beherrschung dieser unzugänglichen Sphäre zu ereichen. Die bürgerliche Familie war durchaus nach dem Vorbild feudaler Familien gestaltet.
[7]Bei Muslim finden sich mehrere Kapitel zu diesem Thema u a. das für die Raumgestaltung relevante Kapitel über das Verbot, heimlich in ein Haus zu blicken: Sahl ibn Sad as Sai'di überlieferte, daß eine Person durch ein Loch in der Tür des Hauses des Propheten blickte; der Prophet hatte etwas bei sich, mit dem er seinen Kopf kratzte. Als der Prophet ihn sah, sagte er: Hätte ich gewußt, daß du durch das Loch guckst, dann hätte ich es (das Stöckchen) durch das Loch gesteckt und er sagte: das Einfordern der Erlaubnis ist notwendig als Schutz gegen den unerlaubten Blick." (Muslim 5366, vergl die englische Übersetzung von Sidiqqi).